© Jens Endler
Aktuelle Meldung der Regionalgruppe Lausitz
15.10.2022

Von 9 auf 49. Wäre ein 49-Euro-Ticket etwas für die Lausitz?

Kurzer Rückblick auf das 9-Euro-Ticket

In den Sommermonaten Juni, Juli und August bevölkerten 9-Euro-Tickt-Reisende die Züge und Busse auch in der Lausitz. Sicher zu einem nicht unerheblichen Anteil auch hier Menschen, die den günstigen Preis nutzten, um Ziele anzusteuern, die sie sonst überhaupt nicht angesteuert hätten. Neben dem unschlagbaren Preis war die Gültigkeit des 9-Euro-Tickets ausgerechnet in der Haupturlaubszeit des Jahres ein gewichtiger Grund dafür. Nichtsdestotrotz dürfte das 9-Euro-Ticket auch in der Lausitz Menschen in den Nahverkehr geführt haben, die entweder in der langen Zeit der Pandemie ausgestiegen waren oder noch nie Fahrgäste waren.

Dass nicht alle im September wieder aus dem Nahverkehr verschwunden sind, zeigen zumindest subjektive Beobachtungen, nach denen im ersten „nach-9-Euro-Ticket-Monat“ September die Fahrgastnutzung in Zügen und Bussen oftmals dem Vor-Corona-Niveau ähnelte. Insofern hätte das 9-Euro-Ticket bereits etwas gebracht neben objektiven Faktoren wie der tatsächlichen Verlagerung von Fahrten aus dem PKW-Bereich in den öffentlichen Personennahverkehr und der damit verbundenen CO2-Entlastung unserer Umwelt.

Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) sind im August 17 Prozent der 9-Euro-Ticket-Nutzerinnen und Nutzer von anderen Verkehrsmitteln wie Pkw, Fahrrad etc. auf den ÖPNV umgestiegen. 10 Prozent der Käuferinnen und Käufer des 9-Euro-Tickets verzichteten laut VDV auf mindestens eine ihrer täglichen Autofahrten. Der Verband hat eine deutschlandweite Einsparung an Klimagasen (CO2-Äquivalenten) durch das 9-Euro-Ticket (ohne Berücksichtigung von induzierten ÖPNV-Fahrten im Regelangebot) von rund 1,8 Mio. Tonnen CO2 im Aktionszeitraum ermittelt.

Ringen um eine Nachfolgelösung

Ursprünglich war das 9-Euro-Ticket Teil des ersten Energieentlastungspaketes der Bundesregierung. Vordergründig als Entlastung der Bürger in Zeiten hoher Energiekosten gedacht, mutierte das Modell schnell zu einem Instrument, die stockende Mobilitätswende voranzubringen. Lässt man alle negativen Begleiterscheinungen wie teilweise sehr volle Züge in Ferienregionen mal außeracht, bleibt als Resümee: In einem Land mit 83 Millionen Einwohnern wurden 52 Millionen Nahverkehrstickets in den Monaten Juni bis August verkauft. Der Öffentliche Personennahverkehr ist seitdem medial so präsent wie niemals zuvor. Die vorher nur auf Sparflamme brennende politische Diskussion um Themen wie Ticketpreise, Einfachheit von Nahverkehrstarifen, der zu geringen Finanzausstattung des Systems Personennahverkehr sowie des Schienenverkehrs in Deutschland insgesamt hat inzwischen den Stellenwert erreicht, den sie verdient. Allein deshalb kann man das 9-Euro-Ticket als schon Erfolg werten.

Was nun noch fehlt, sind Lösungen, die den Öffentlichen Verkehr nachhaltig nach vorn bringen. Dabei wird es künftig nicht mehr um die Frage gehen, ob man besser in günstige Tarife, mehr Angebot oder bessere Infrastruktur investiert. Nach dem Motte, erst Infrastruktur ausbauen (vielleicht bis 2040?), dann Angebot verbessern (vielleicht bis 2050?) und zu guter Letzt gibt es On Top ein tolles Tarifmodell (irgendwann?) wird es nicht mehr funktionieren. Die Aufgaben müssen parallel gedacht und gelöst werden.

Insofern sind die Bestrebungen der Bundesländer, im Ringen um eine Nachfolgelösung für das 9-Euro-Ticket dem Bund eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel 1,5 Milliarden Euro der richtige Ansatz. Auch die Forderung nach einer weiteren Erhöhung um 1,65 Milliarden Euro für die Jahre 2022 und 2023 auf Grund der gestiegenen Energiepreise ist legitim. Viele Verkehrsunternehmen stehen in Folge der Kostenexplosion bei den Energiekosten mit dem Rücken zur Wand. Es bringt wenig, ein tolles Nahverkehrsticket einzuführen und gleichzeitig das Nahverkehrsangebot zurückzufahren, weil es nicht mehr bezahlbar ist.

Kommt das 49 Euro-Klimaticket?

Am 12. Oktober haben sich die Verkehrsminister von Bund und Ländern auf ein deutschlandweit gültiges Nahverkehrsticket geeinigt, welches monatlich 49 Euro kosten soll. Das Ticket soll im Abo zu haben sein und monatlich kündbar. Damit wäre das neue Nahverkehrsticket trotz Abo wie eine Monatskarte nutzbar. Geplant ist der Start des neuen Angebots unter dem Namen Klimaticket Anfang 2023, was bereits jetzt eine sportliche Aufgabe für die Mitarbeiter in den Verkehrsverbünden und Verkehrsunternehmen sein dürfte. Ob die Einführung dieses 49-Euro-Tickets wie angekündigt Wirklichkeit wirkt, hängt nun davon ab, inwieweit sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der Länder über die generelle Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs verständigen können. Es bleibt nicht viel Zeit für die Entscheidung, um die technische Umsetzung Anfang 2023 überhaupt noch zu schaffen.

Bringt das Klimaticket den Lausitzern etwas?

Die Lausitz ist hinsichtlich der Mobilität eine besondere Region. Zwei Bundesländer mit insgesamt drei Verkehrsverbünden grenzen in der Lausitz aneinander, rechnet man das Elbe-Elster-Land im Westen der Lausitz hinzu, sind es sogar drei Bundesländer und vier Verbünde. In Brandenburg der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), in Sachsen der Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) rund um Dresden, der Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) rund um Görlitz und der Mitteldeutsche Verkehrsverbund (MDV) rund um Leipzig, Halle und Lutherstadt-Wittenberg.

Jeder Verkehrsverbund hat sein eigenes Tarifsystem mit unterschiedlichen Tarifmodellen, unterschiedlichen Preisniveaus, unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Gültigkeiten für gleich klingende Ticketsorten. Für den ungeübten Fahrgast tatsächlich ein kleines Verwirrspiel. Für durchgehende Fahrten über Verbundgrenzen hinaus muss oftmals der teurere C-Preis der Deutschen Bahn gekauft werden oder man kennt sich gut genug aus und stückelt die Fahrkarten für einzelne Teilwege. Alles in allem kein Mittel, um neue Fahrgäste in größerem Umfang in Bus und Bahn zu locken. Ein deutschlandweit gültiges Nahverkehrsticket würde alle diese Verbund- und Landesgrenzen überwinden und den Zugang zum Öffentlichen Personennahverkehr in der gesamten Lausitz deutlich vereinfachen.

Günstiger als viele Nahverkehrstarife für mittlere und längere Entfernungen wäre das Klimaticket für 49 Euro ebenfalls. Eine Monatskarte für Erwachsene zwischen Cottbus und Senftenberg kostet heute im VBB-Tarif 110,40 Euro, zwischen Cottbus und Berlin sind es 213,60 Euro. Im VVO-Tarif zahlt ein Erwachsener für eine Monatskarte von Dresden nach Hoyerswerda 191,90 Euro, von Dresden ins brandenburgische Elsterwerda ebenfalls.
Wer nur lokal unterwegs ist, kommt teilweise mit den Verbundtarifen auch weiterhin günstiger. So kostet eine Monatskarte für den Stadtverkehr in Cottbus (Tarifzone AB) 41,80 Euro, will man aber über die Stadtgrenze hinaus ins benachbarte Drebkau fahren, sind es bereits 66 Euro und das Klimaticket wäre günstiger. Auch für Auszubildende blieben verbundweit gültige Angebote wie das VBB-Abo-Azubi weiterhin günstiger als das Klimaticket.

Insbesondere bei den Studierenden dürfte die künftige Entwicklung von Semestertickets im Kontext zu Klimatickets noch für Diskussionen sorgen. Wären die Semestertickets doch künftig ähnlich teuer oder etwas günstiger als das neue Klimaticket, aber in der räumlichen Gültigkeit begrenzt. Gerade in der Lausitz und angrenzenden Unistandorten wie Dresden oder Leipzig mit vielen Studierenden, die die eigentlichen Verbundgrenzen für Heimreisen regelmäßig überschreiten, kann das Klimaticket dazu führen, dass das Solidarmodell Semesterticket zum Auslaufmodell wird.

Ohnehin stellt sich die Frage ob es weitere lokale Tarifmodelle unterhalb eines deutschlandweiten Klimatickets geben wird. Wird die quasi im Alleingang installierte Berliner Übergangslösung eines 29-Euro-Tickets eine Übergangslösung bleiben oder zum Dauerangebot erhoben und wie verhält sich Brandenburg dann dazu, nachdem es die Zwischenlösung bereits als nicht finanzierbar abgelehnt hat. Es bleibt also spannend.

Reicht das ÖPNV-Angebot in der Lausitz?

Letztendlich stellt sich die Frage, ob solch ein Klimaticket als Motor für die seit Jahren stagnierende Entwicklung des Schienenpersonennahverkehrsangebots in der Lausitz taugt. Das hängt hauptsächlich davon ab, wie viele Lausitzer solch ein Klimaticket tatsächlich zum Umstieg auf Züge und Busse bewegen wird. Fakt ist, bereits heute kommen Lausitzer Bahnlinien immer wieder an die Belastungsgrenze hinsichtlich Fahrgastaufkommen. Neben Cottbus – Berlin gehören hier vor allem die Relationen zwischen Cottbus und Dresden bzw. Leipzig dazu. Dichtere Takte (z.B. Richtung Leipzig), kürzere Fahrzeiten (z.B. von Cottbus Richtung Dresden und Leipzig, von Senftenberg Richtung Berlin und Dresden) sowie Züge mit größeren Fahrgastkapazitäten werden nötig sein. Einen kleinen Schritt macht das neue Fahrplanangebot im VBB-Gebiet ab Dezember mit höheren Fahrgastkapazitäten und einem dichteren Takt zwischen Cottbus und Senftenberg sowie teilweise Lübbenau und Berlin bereits ab dem kommenden Dezember. Das gros der zu lösenden Aufgaben beim Bahnverkehr dürfte aber noch bevorstehen.

Auch beim straßengebunden ÖPNV ist noch einiges zu tun. Zwar ist das ÖPNV-Angebot in der Lausitz in vielen Fällen deutlich besser, als gemeinhin angenommen. Von einem guten ÖPNV-Netz aus einem Guss ist das Lausitzer Bus- und Bahn-Angebot dennoch ein gutes Stück entfernt. Vor allem eine Kreis- bzw. Ländergrenzen Nahverkehrsplanung fehlt. In Sachsen gibt es ein entsprechendes Zielnetz, in Brandenburg bislang nicht. Ansätze für ein gemeinsames Netz Lausitz gibt es bei den Verkehrsverbünden Berlin-Brandenburg, Oberelbe und Oberlausitz-Niederschlesien auf Arbeitsebene bereits. Ein gut strukturiertes und aufeinander abgestimmtes ÖPNV-Netz aus Bahn-Regionalverkehr, PlusBus, TaktBus und On-Demand-Angeboten wie es erforderlich wäre, lässt sich mit den vorhandenen Finanzmitteln für den ÖPNV auch nur schwer finanzieren.

Fazit

Das Klimaticket für 49 Euro kann ein wichtiger Baustein sein, ein Umdenken beim Thema Mobilität und Nahverkehr zu bewirken, das alleinige Lösungsmittel ist es nicht. Das muss allen Beteiligten bewusst sein. Die Hauptblickrichtung muss in Richtung Infrastruktur- und Angebotsausbau gehen und deren Finanzierung. Damit nicht am Ende der erhebliche Einsatz von Mitteln zur Finanzierung eines Klimatickets wirkungslos verpufft.

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